Deutschlandfunk-Logo
© Deutschlandfunk

Kultur & LiteraturLeben & Liebe

"Eingeschlossen zwischen sterbliche Dinge" - Eine Lange Nacht über das Mittelmeer

Einst erschien das Mittelmeer als Nabel der Welt. Als „Mare Nostrum“ war es jahrhundertelang die Arena, in der sich Weltgeschichte abspielte. In der Antike war es Schauplatz von Entdeckungsfahrten und Seeschlachten, von Religionsstiftungen und Kriegen zwischen den Religionen; es war ein Umschlagsplatz für Handel und Ideen.

Seit der Renaissance bildete die „Méditeranée“ die geistige Landschaft, in der sich ein humanistisches Europa, fasziniert vom Ideal des Maßes, selbst entwarf. Die 'Lange Nacht' durchmisst das Mittelmeer von West nach Ost. Wenn an Steuerbord die weiße Stadt Algier auftaucht, hört man die frühen Mittelmeeressays des späteren französischen Nobelpreisträgers Alber Camus.

Wenn an Backbord die Hafenstadt Marseille vorbeizieht, kommt die besondere Anziehungskraft dieses großen Umschlagplatzes der französischen Kolonialgeschichte zur Sprache. In der 'Langen Nacht' des Mittelmeers geht es um Schiffbrüche, um Seemannsgarn à la Homer, um Aberglauben und Meeresschaum, um den Gesang der Sirenen.

Es geht auch um die Inselfahrten nordeuropäischer Sonnensucher, um die Landschaften, in denen die Olivenbäume „mit ihren Händen Licht sieben“ (Odysseas Elytis). Auch Lampedusa kommt in Sicht, dieses raue Eiland zwischen Afrika und Europa, das schon William Shakespeares als Vorbild seines Dramas „Der Sturm“ diente.

Heute laufen hier die Flüchtlingsrouten und Sehnsüchte Schwarzafrikas zusammen. Auch dies ist das Mittelmeer heute: ein Burggraben der „Festung Europa“ und ein Massengrab. Am Ende der Reise gelangen wir ins östliche Mittelmeer und gehen in Athen an Land.

Die Reise wird von Odysseus geführt, dem Archetyp aller Abenteurer, Entdecker und Flüchtlinge. Er lotst seine Hörer durch eine Landschaft, die von Geschichte durchwoben und von Natur und Kunst durchtränkt ist. Müssen wir heute Abschied nehmen vom Sehnsuchtsort Mittelmeer? Oder lädt das Mittelmeer gerade heute, wo Europa in einer Identitätskrise steckt, zu einer anderen Art der Geschichtsschreibung ein: Kann man Europa neu denken, von seinem Ursprung, vom Süden her?

"Eingeschlossen zwischen sterbliche Dinge" - Eine Lange Nacht über das Mittelmeer im Überblick

Sendezeit Sa, 05.11.2016 | 23:05 - 02:00 Uhr
Sendung Deutschlandfunk "Lange Nacht"
Radiosendung