Im Nachlass seiner Tante befindet sich eine Kiste mit kolonialem Treibgut
Im Nachlass seiner Tante befindet sich eine Kiste mit kolonialem Treibgut © Janine Chance / freeimages.com

FeatureKultur & Literatur

Der Jaguarkopf in der Kiste | Teil 1 von 2

Teil 1/2 | Nachdem die Tante von Jonas Lüth starb, kümmert dieser sich um den Nachlass der Frau. In ihren Sachen findet er einen Jaguarkopf, der ausgestopft ist und aus Paraguay stammt. Die Sendung "Der Jaguarkopf in der Kiste" handelt von dem durchaus problematischen Fund im Nachlass der Tante.

Im Humboldt Forum in Berlin findet man das bekannte Luf-Boot. Doch was macht man, wenn man im Nachlass einer Tante Treibgut aus der Kolonialzeit findet?

Jonas Lüth entdeckt den ausgestopften Kopf eines Jaguars, der voller Staub ist in dem Nachlass seiner Tante, die vor Kurzem gestorben ist. Einerseits findet er, dass der Jaguarkopf etwas Besonderes ist, andererseits geht es in der Gesellschaft immer mehr darum, die Zeit des Kolonialismus präzise aufzuarbeiten. Außerdem schreitet das Artensterben immer mehr voran. Schnell wird klar, dass der lateinamerikanische Jaguarkopf nichts Cooles an sich hat, sondern problematisch ist.

Also entschließt sich Jonas dazu herauszufinden, wo der Jaguarkopf herkommt und entdeckt so Vladimír Šustr. Er ist Teil von Jonas Familie und war ein Schriftsteller aus Tschechien. Von 1937 bis 1938 reiste er durch Paraguay und suchte stets abenteuerliche Erlebnisse. Zu einem späteren Zeitpunkt schrieb er Jugendromane, die antikolonial waren. Vladimír hatte zwar ein Kind, doch es starb schon im jungen Alter, sodass der Autor nur Zeitungsartikel, die aus den 30er-Jahren stammen sowie Romane zurückließ. Und den Jaguarkopf. Diesen hinterließ er bei seinem Tod seiner Halbschwester. Jonas‘ Urgroßtante verstirbt 2010 in Prag, sie hatte keine eigenen Kinder und den Jaguarkopf hatte die Frau noch immer. Welche Geschichten bringt das vererbte Stück mit sich? Jonas begibt sich auf die Suche nach Antworten.

Seine Suche führt ihn zunächst in das Naturkundemuseum nach Leipzig, zu einem Tierpräparator, dann zum Flughafen Frankfurt, in die Asservatenkammer des Zolls und zum Bundesamt für Naturschutz. Jonas wird gesagt, dass er den Jaguarkopf bei sich aufbewahren darf, doch es wird ihm empfohlen, ihn als Sondermüll wegzuwerfen. Den Kopf wegzuschmeißen ist für ihn aber keine Option "[a]us Respekt dem toten Tier gegenüber". Zudem will er wissen, welche Geschichte des Kolonialismus mit dem Jaguarkopf einhergeht.

Im Berliner Naturkundemuseum wird ihm mitgeteilt, dass der Jaguarkopf für zahlreiche wichtige Aufeinandertreffen steht. In Prag begegnet er einer Historikerin, die ihm erzählt, wie die Macht damals in Paraguay verteilt war. Und dass gegen Ende der 1930er-Jahre Vladimír Šustr in Paraguay als "Gringo" (was im Deutschen "Weißer" heißt) lebte und dadurch in der Hierarchie über den Ureinwohner des Landes stand.

1938 kam Šustr zurück nach Europa, aber die Nationalsozialisten besetzten gerade zu dieser Zeit die Tschechoslowakei. Vor seiner Rückkehr nach Europa war er noch ein weißer Abenteurer, der viel Ansehen genoss und aus einer "zivilisierten Welt" kam, doch als er wieder zurück auf seinem Heimatkontinent war, war er plötzlich ein "Untermensch". Er war Teil eines unfreien Volkes, von dem nicht einmal sicher war, ob es jenes zukünftig überhaupt noch geben würde. Das ist nur eine der Geschichten, die der Jaguarkopf mit sich bringt.

Doch Jonas kann auch noch aus Paraguay in Erfahrung bringen, dass die Verantwortung für das reihenweise Töten der Jaguare bei den Viehzüchtern liegt. In einem Zeitungsroman aus dem Jahr 1939 von Vladimír Šustr ist zu lesen, dass auch er ein Rancher sein wollte. Auch wenn Jaguare eine bedeutende Rolle in der Kultur der Indigenen hatten, wurde das von den weißen Ranchern vollkommen missachtet.

Jonas würde den Kopf gerne neu aufbereiten lassen und zurückgeben, doch damit das möglich ist, müsste jemand den Kopf auch einfordern.

"Der Jaguarkopf in der Kiste" im Überblick

Der Jaguarkopf in der Kiste

von Jonas Lüth

Sendezeit Mi, 21.12.2022 | 19:30 - 20:00 Uhr
Sendung Deutschlandfunk Kultur "Zeitfragen Feature - Kultur und Geschichte"
Radiosendung