Annie Ernaux: Der Platz

Annie Ernaux ist im Prekariat aufgewachsen und hat ihre eigene Geschichte als literarisches Thema ausgesucht. Mit dem Schreiben versucht sie auch, sich ihrem toten Vater anzunähern, der Bauerssohn war. Mit "Der Platz" setzt Ernaux neue Maßstäbe des autobiografischen Schreibens.

Annie Ernaux hat sich als literarisches Thema ihre eigene Geschichte auserwählt. Der Tod ihres Vaters war der Anlass für die studierte Tochter, über den kleingeistigen Bauernsohn, Fabrikarbeiter und späteren Kneipenwirt zu schreiben.

Die Gymnasiallehrerin hat mit ihrer prekären Herkunft gebrochen. Und sie schreibt, weil sie und ihr Vater sich schon lange nichts mehr zu sagen hatten.

Und weil sie zu einer sozialen Überläuferin ins Bürgertum geworden ist, versucht sie über das Schreiben und über die Sprache sich ihrem Vater anzunähern.

Ernaux beschreibt später, wie sie versucht, das Leben des toten Vaters aus der Bedeutungslosigkeit herauszuholen. In die hat es aber nicht nur das Leben des Vaters geschafft - Annie Ernaux droht es seit jeher, gleichfalls in die Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.

Ist das die schlechte Seite des sozialen Aufstiegs: Die Verdrängung und Leugnung der eigenen Herkunft oder des Geschmacks, der Sprache oder der Umgansformen?

Für Ernaux ist es ein Schreibprozess, der ihr "selbstverständlich keine Freude" bereitet. Dieser Prozess verschwimmt zwischen den Welten des Vaters und der Tochter.

"Vielleicht sein größter Stolz, sogar sein Lebenszweck: Dass ich eines Tages der Welt angehöre, die auf ihn herabgeblickt hatte", resümiert Ernaux.

Ihr Buch "Der Platz" setzt neue Maßstäbe des autobiografischen Schreibens. Sie greift damit das Thema der sozialen Herkunft auf und nimmt dabei deren Überwindung in den Fokus.