Eingeschlossene Gesellschaft | Teil 1 von 2

Teil 1/2 | Einmal Sitzenbleiben ist okay. Zweimal gerade noch so. Wenn das Kind aber zum dritten Mal nicht zum Abitur zugelassen wird, kann das Eltern schon zur Weißglut treiben - und dazu, Lehrer Freitagnachmittag in die Schule einzusperren, bis sie dem Sohn den fehlenden Punkt zugestehen.

Nachhause gehen, wenn die Schulglocke läutet, darauf freut man sich. Schweirig, wenn die Tür bereits abgesperrt wurde und man nicht mehr raus kommt aus der Schule. Die letzten sechs Lehrer, die sich an einem friedlichen Freitagnachmittag noch im Lehrerzimmer des Städtischen Gymnasiums aufhalten, müssen genau das miterleben, als ein hysterischer Vater sie als Geiseln nimmt.

Denn seinem Sohn, Fabian Prohaska, fehlt ein Punkt. Ein Punkt zur Abiturzulassung. Und das beim letzten gültigen Anlauf. Weil Nachhilfe und Bitten und Appellieren nicht mehr geholfen hat, muss die Schule Schuld sein am Versagen des Nachwuchs. Und wenn es um die Zukunft geht, muss man manchmal auch zu eindeutigeren Mitteln greifen: Einer Waffe beispielsweise.

Unter den sechs Lehrern, die sich nun in Gefangenschaft sehen müssen, ist auch der vermeintlich Verantwortliche für das Durchfallen seines Sohnes. Also stellt er ein "faires" und moralisch korrektes Angebot: Die Lehrer sollen sich eine Stunde lang beraten und am Ende der Diskussion dem Schüler den fehlenden Punkt zusprechen. Aber natürlich nicht aus Zwang, sondern Überzeugung.

Dass dieser verzweifelte Plan nicht reibungslos aufgeht, liegt nahe. Und während der Vater die Tür von außen zuhält und mit der Waffe bewacht, umkreisen die Lehrer sich selbst. Und ihre Kollegen.

Jan Weiler portraitiert die stumpfen Mechaniken und egozentrischen Routinen, zu denen sich Schulbildung und -erziehung verzerren können. So böse, dass nicht mal mehr der Letzte gut lachen hat.