"Im Gehäuse" und "Der Verräter"

In Wolfdietrich Schnurres Erzählungen nahm er Partei für die Schwachen und Abgegrenzten der Gesellschaft. So handelt "Im Gehäuse" von Verfolgten durch den Hitlerfaschismus und "Der Verräter" von einem homosexuellen Elternpaar – ein absolutes Tabu in den 70ern.

Die beiden von herausragenden Sprechern besetzten Dialoghörspiele behandeln die Tragik des unschuldigen Schuldigwerdens. Die Kabinettstücke sind mal lakonisch, mal bedrückend. Was wichtig ist, ist das, was zwischen den Zeilen steht.

"Im Gehäuse" handelt von einer Mutter und Tochter, die durch gemeinsame Isolation versuchen, der Verfolgung durch die Nazis zu entkommen. Die enge Bindung zwischen den beiden wird stark auf die Probe gestellt. Beginnend mit einer Alltagssituation entwickelt sich diese Erzählung zu einem Beziehungskrieg. Jahre später ist der Konflikt noch unlösbar. Das Gehäuse, das die beiden schützen sollte, wird selbst zum Schauplatz der Zerstörung.

"Der Verräter" beginnt ganz alltäglich mit einer Kindergärtnerin und einem Vater, die anscheinend nur über das Wohl des Kindes reden. Doch nach und nach fächert sich die Geschichte weiter auf, als mehr Details ans Licht kommen. Der Mann ist in einer schwulen Beziehung, was ende der 70er noch verpönter war als heute. Die Kindergärtnerin ist überfürsorglich und ein Unbekannter namens Willi spielt eine Rolle.

Wolfdietrich Schnurre, geboren am 22. August 1920 in Frankfurt am Main, war einer der bedeutendsten Erzähler der Nachkriegsliteratur der Bundesrepublik. Er verfasste Kurzgeschichten, Romane, Fabeln, Tagebücher, Gedichte, Hörspiele und Kinderbücher, welche er teilweise selbst illustrierte. Sein Gedicht "Jenö war mein Freund" von 1958 wurde besonders bekannt. Darin behandelte er den Porajmos, den Völkermord an den osteuropäischen Sinti und Roma durch den deutschen Faschismus. Ein Thema, das bis heute nicht richtig aufgearbeitet ist. Auch diese Geschichte illustrierte er selbst. 1989 starb er in Kiel.