Der Roman "Leben und Ansichten von Tristram Shandy" ist so fortschrittlich, da ist es überraschend, dass er aus dem 18. Jahrhundert stammt
Der Roman "Leben und Ansichten von Tristram Shandy" ist so fortschrittlich, da ist es überraschend, dass er aus dem 18. Jahrhundert stammt © birgitH / PIXELIO

Hörspiel

Leben und Ansichten von Tristram Shandy - Ein fortschrittlicher Roman | Teil 1 von 4

Teil 1/4 | Die Ansichten und das Leben von Tristram Shandy sind verwirrend - so auch die wirre Romanhandlung des gleichnamigen Werks. Laurence Sterne hat damit schon im 18. Jahrhundert einen sehr fortschrittlichen Roman um seinen mysteriösen Helden geschrieben. Hier in einer aktuellen Hörspielfassung.

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Laurence Sternes Tristram Shandy ist ein einzigartiges Werk in der Literaturgeschichte: Erschienen zwischen den Jahren 1759 und 1767, experimentiert Sterne in diesem neunbändigen Roman selbstbewusst mit der Form.

In einer Zeit, als der Roman selbst noch nicht klar definiert oder gar etabliert ist, lotet Sterne bereits dessen Grenzen aus, spielt mit der Wirkung auf seine Leser und lässt wie nebenbei fragwürdig erscheinen, wie er überhaupt erzählen kann, wovon er vorgibt, erzählen zu wollen: Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman.

Verspricht der Titel nämlich eine wohlgeordnete und fein aufbereitete, womöglich auf ein Ziel hin erzählte Lebensgeschichte, so enttäuscht der Erzähler diese Erwartungen sofort.

Eine stringente Biografie beinhalten die neun Bände sicherlich nicht. Stattdessen prägt den Roman eine assoziative Struktur: Vor und zurück blickt der Erzähler, der sich nicht an eine Chronologie halten mag; ebenso wechselt sein Gestus - von beißender Satire oder einem spöttischen Ton bis zu pathetischen Beschreibungen. Und auch optisch verrät Sternes Roman, dass er sich nicht an das hält, was seine Gattung bisher auszeichnete.

Das Vorwort leitet die Geschichte nicht ein, es wird stattdessen nachgereicht, mitten in der Erzählung. Und die wiederum ist gespickt mit Auffälligkeiten: mit Auslassungen, Reihen von Sternchen-Symbolen, oder mit ganzen Kapiteln, die fehlen. Andere Seiten sind dafür ganz in schwarz gehalten, gefüllt mit Druckerschwärze, nicht mit sinnerfüllten Zeichen. All das sind Hinweise darauf, dass die Ordnung hier bewusst gebrochen wird, dass Autor und Erzähler Freigeister sind, die weniger an einer Biografie interessiert sind als an der bis heute bestehenden Frage, ob sich eine solche erzählen lässt. Vom Leben dieses vermeintlichen Protagonisten und Ich-Erzählers, Tristram Shandy, liest man entsprechend wenig - seiner Zeugung wird ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt wie seiner Geburt, von der erst im dritten Band berichtet wird.

Sehr einprägsame und detailreiche Beschreibungen gelten dagegen anderen Figuren: allen voran Tristrams Vater und seinem Onkel Toby - zwei äußerst eigenwillige, bisweilen schrullige Charaktere, die der Erzähler aber nie so sehr dem Lächerlichen preisgibt, dass sie darüber ihre liebenswerte Note verlieren, ganz Karikatur werden. Nietzsche galt Sterne deshalb als "der freieste Schriftsteller aller Zeiten", gegen ihn, so schreibt er in Menschliches Allzumenschliches II, seien "alle anderen steif, vierschrötig, unduldsam und bäuerisch-geradezu".

Mit dieser Haltung hat Sterne die Geschichte des Romans geprägt und ist zu einer Instanz für folgende Schriftstellergenerationen geworden. Auch in Deutschland blickten Autoren bewundernd auf den schreibenden Pfarrer aus England und seinen Tristram: Goethe und Zelter etwa tauschten im Briefwechsel ihre Lektüreeindrücke aus, und Lessing ließ sich zu der Aussage bewegen, er würde Sterne gerne fünf seiner Lebensjahre abtreten, wenn dieser sie nur schreibend verbringen wolle.

Eine erste Übersetzung ins Deutsche folgte entsprechend früh, 1769. Auf der Übertragung von Michael Walter basiert nun die Bearbeitung für das Radio von Karl Bruckmaier. Dessen Ziel es ist, "den Hörgewohnheiten des 21. Jahrhunderts ebenso Rechnung zu tragen wie den zeitlosen, den klassischen Qualitäten dieses Urtexts aller Genreverletzungen."

"Leben und Ansichten von Tristram Shandy - Ein fortschrittlicher Roman" im Überblick

Leben und Ansichten von Tristram Shandy - Ein fortschrittlicher Roman

von Laurence Sterne

Produktion: 2015

Sendezeit Do, 24.12.2015 | 16:05 - 17:00 Uhr
Sendung Deutschlandfunk "Hörspiel Extra"
Radiosendung