Sie verliebt sich in die Schriften des Autors
Sie verliebt sich in die Schriften des Autors © Wandersmann / pixelio.de

Hörspiel

Nachtgeschwister, provisorisch

Ein kleines Büchlein voller Gedichte entfacht eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, die sich zur Obsession und quälenden Verstrickung entwickelt. Die Frau ist besessen davon, dem Autor der Zeilen zu begegnen. Allein die ersten Zeilen beflügelt die Frau.

Eine unbeschreibliche Wirkung haben bereits die ersten Zeilen auf die Frau - eine Kraft, ein Licht, eine Dunkelheit, ein Schmerz, eine Schönheit, eine Wucht. Es ist die Stimme eines Seelenverwandten, aber auch eines Verlorenen und Gefundenen. Doch der Verfasser ist für sie wohl unerreichbar, weil er sich im anderen Teil Deutschlands, im Osten, befindet.

Dann erhält der Mann plötzlich ein Reise-Visum. Sie begegnen sich und es entwickelt sich zwischen ihnen eine Liebesbeziehung. Doch ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Prägungen belasten ihre Beziehung.

Der Mann ist anders als sie ihn sich vorgestellt hat. Er kämpft mit einem ständigen Minderwertigkeitsgefühl des nicht Genügens, fühlt sich als minderwertiger DDR-Bürger und hat kein Vertrauen in seine Fähigkeiten und Potenz. Daraus folgen Quälereien von krankhafter Eifersucht gegenüber seiner Partnerin, die dann in körperliche Gewalt ausarten. Trotz der Unzufriedenheit mit seinem Leben im Westen, wo er sich fremd und unwohl fühlt, sich in Alkoholexzesse flüchtet und in Schreibhemmungen versinkt, unternimmt er nichts, um die Rückreise anzutreten und so wird der Osten für ihn zunehmend unerreichbarer.

Zum Autor

Wolfgang Hilbig kam 1941 in Meuselwitz/Thüringen zur Welt. Nach der Schule, absolvierte Hilbig eine dreijährige Ausbildung zum Bohrwerkdreher. Er war Schlosser und Heizer, bevor er sich 1980 als freiberuflicher Schriftsteller niederließ. DIE ZEIT beschrieb ihn als "Autor der wichtigsten, unheimlichsten Bücher über die Landschaft, die Menschen, die Nachtseiten der untergegangenen DDR". Natascha Wodin, Jahrgang 1945, verbrachte ihre Kindheit in den dt. Nachkriegslagern für "displaced persons". Nachdem sie als Dolmetscherin gearbeitet hat, übersetzte sie Literatur aus dem Russischen, bevor sie 1980 freie Schriftstellerin wurde. In ihren Werken beschäftigt sie sich hauptsächlich mit den Themen Fremdheit, Entwurzelung und Ortlosigkeit sowie Außenseiterexistenzen und Grenzgängern. In ihrem Roman "Nachtgeschwister" beschreibt sie eine komplexe deutsch-deutsche Künstlerbeziehung, die klare autobiografische Züge beinhaltet.

"Nachtgeschwister, provisorisch" im Überblick

Nachtgeschwister, provisorisch

von Wolfgang Hilbig, Natascha Wodin

Mit Martina Gedeck, Christian Redl, Conny Wolter, Susanne Stein, Hilmar Eichhorn

Produktion: 2014

Sendezeit Mo, 29.05.2023 | 22:00 - 23:30 Uhr
Sendung MDR KULTUR "Hörspiel"
Radiosendung