Keiner wird um etwas bitten von Serhij Zhadan | Teil 1 von 5

Teil 1/5 | Seit Februar verkehren keine Trams mehr. Oft herrscht Schweigen in der kriegsgeplagten Metropole. Menschen versammeln sich an Orten, die einigermaßen unversehrt geblieben sind: auf dem Sportplatz, in Gotteshäusern, in Büros mit großen Fenstern.

Ob sie früher Pädagogen, Marketingspezialisten oder Kfz-Techniker waren, spielt keine Rolle mehr - sie beschäftigen sich nun mit völlig anderen Aufgaben: Eine ältere Dame nach einem Bombenangriff auf ein Wohngebäude in Sicherheit bringen, eine Anstellung für jemanden finden, der als Kriegsversehrter zurückgekehrt ist, oder an einer Beerdigungszeremonie für einen gefallenen Kameraden teilnehmen, der an der Front eine Truppe geführt hat. Diese Erlebnisse hinterlassen tiefe Spuren.

Zhadan findet Worte für die Verwundbarkeit und die drastische Umwälzung im Leben einer Gemeinschaft, die akzeptieren musste, dass der "große Tod" allgegenwärtig ist, wo auch immer man sich trifft.

Zum Autor

Serhij Zhadan kam 1974 im Luhansker Gebiet in der Ostukraine zur Welt, studierte deutsche Sprache und Literatur, promovierte über den ukrainischen Futurismus und zählt seit 1991 zu den prägenden Persönlichkeiten der neuen Kulturszene in Charkiw. Bereits mit 17 Jahren veröffentlichte er und brachte seitdem zwölf Gedichtsammlungen sowie sieben Prosawerke heraus. Für "Die Erfindung des Jazz im Donbass" erhielt er den Jan-Michalski-Literaturpreis sowie den Brücke-Berlin-Preis 2014, gemeinsam mit Juri Durkot und Sabine Stöhr. Die BBC ehrte das Werk als "Buch des Jahrzehnts". 2022 wurde ihm der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Sein Roman "Internat", der vom Krieg in der Ostukraine ab 2024 handelt, wurde mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2018 geehrt, mit Juri Durkot und Sabine Stöhr als Übersetzer. MDR Kultur schuf daraus eine Lesung mit der Schauspielerin Constanze Becker. Zhadan lebt in Charkiw und ist seit Mai 2024 selbst Teil des Militärs.