Mit Adolf Eichmann steht im April 1961 erstmals eine Schlüsselfigur des Holocausts vor einem israelischen Gericht. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer war als Deportationsspezialist verantwortlich für den Transport von Millionen von Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager der Nazis.
Am Prozess leugnet Eichmann die Verbrechen nicht. Und doch bestreitet er, verantwortlich zu sein. Beflissen, fast unterwürfig stellt er sich als kleines Rädchen im NS-Getriebe dar, als Werkzeug, das zu gehorchen hatte.
Wer ist dieser unscheinbare Mann im kugelsicheren Glaskasten vor dem Jerusalemer Bezirksgericht? Darüber wird am Prozess und auch danach viel diskutiert. Ein gefühlloser, zahlenbesessener Bürokrat in einem verbrecherischen Staat? Ein Schreibtischtäter ohne Gewissen, die Banalität des Bösen, wie die jüdische Philosophin Hannah Arendt ihn beschrieben hat?
Oder doch - wie die Anklage beweisen will - jemand, der aus tiefer Überzeugung gehandelt hat, und damit mitverantwortlich ist an einem Massenmord?
In der «Zeitblende» erklärt die deutsche Historikerin Irmtrud Wojak, wie Eichmanns Rechtfertigungsstrategien zu lesen sind und warum Arendts These nicht weit genug geht.
Und was dieser Prozess für den jungen Staat Israel bedeutet, was er ausgelöst hat, davon erzählt der israelische Historiker Tom Segev. Etwa dass erstmals eine schmerzhafte Aufarbeitung des Holocausts angestossen wurde, die zu einem zentralen Element der israelischen Identität geworden ist - bis heute.
PolitikWissenschaft & Technik
Zeitblende Folgen
Geschichte im Gespräch. Zeitzeugen, Expertinnen, oder Betroffene schildern ihre Erinnerungen an historische Ereignisse. Aber nicht nur der Blick zurück ist hier wichtig, die «Zeitblende» auf Radio SRF4 News analysiert auch die aktuelle Bedeutung dieser Ereignisse.
Folgen von Zeitblende
50 Folgen
-
Folge vom 03.04.2021Schreibtischtäter oder Massenmörder? Der Eichmann-Prozess
-
Folge vom 20.03.2021Der ungekrönte König Italiens: Giovanni AgnelliEr war das Gesicht von FIAT, der Besitzer von Juventus Turin, eine Stil-Ikone und ein Playboy. Giovanni – «Gianni» - Agnelli, der am 12. März dieses Jahres seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Als Patriarch der FIAT-Dynastie führte er das Unternehmen durch die italienischen Boom-Jahre der Nachkriegszeit, stellte ganz Italien auf 4 Räder. In der Zeitblende schauen wir zurück auf das Leben dieser schillernden Persönlichkeit. Zu Wort kommt der Wirtschaftskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ in Italien, Tobias Piller. Er hat Agnelli persönlich getroffen, und sein Wirken, seine Erfolge und Misserfolge mitverfolgt. Wir hören ausserdem, was Agnellis Freunde, Bewunderer, Kritiker über ihn sagten.
-
Folge vom 06.03.2021Strassenschlachten in Moutier: Der JurakonfliktMoutier stimmte 2017 für den Wechsel zum Kanton Jura. Das Resultate wurde wegen Unregelmässigkeiten für ungültig erklärt. Alte Wunden wurden aufgerissen: Der bittere Jurakonflikt war wieder da. Einst hat er die Schweiz gefährlich nah an einen bewaffneten Konflikt gebracht. Kurz bevor Moutier ein zweites Mal abstimmt, beleuchtet die «Zeitblende» den jahrzehntelangen Konflikt: Seine Anfänge, seine heisse Phase und wie die Politik versuchte, ihn zu lösen. Und wir stellen die Frage: Wird die nächste Moutierabstimmung die Jurafrage endgültig lösen können? Zu Wort kommen langjährige Separatisten und Berntreue - und ein profunder Kenner des Jurakonflikts.
-
Folge vom 20.02.2021Der Bödelimord: Als die Idylle Unterseens zerstört wurdeVor 20 Jahren verschwand ein 19-Jähriger aus Unterseen. Für die Polizei und den damaligen Sprecher der Berner Kantonspolizei Jürg Mosimann war schnell klar: «Hier stimmt etwas nicht». Wochen später wurde der Vermisste im Thunersee gefunden. Aus einer alltäglichen Vermisstmeldung wurde ein Mordfall. Denn der Teenager gehörte einer rechtsextremen Gruppe an. Als er deren oberstes Gebot brach - Verschwiegenheit - wurde er im Januar 2001 brutal umgebracht. Unterseen stand unter Schock. Doch das idyllische Städtchen im Berner Oberland nahm den Mord nicht einfach so hin. Ein Glockenmarsch im Städtchen sollte symbolisieren, dass man mit den Rechtsextremen nicht sympathisiert: «Wir wollten mit den Glocken einen anderen Ton nach Unterseen bringen», sagt der damalige Unterseener Pfarrer Theo Ritz. Im Jahr 2004 kamen die jungen Täter vor Gericht. Mit dabei: Christine Brand, damals Gerichtsreporterin beim «Bund»: «Das war ein Fall, der mir geblieben ist. Eindrücklich war er wegen der Täter. Alles junge Männer auf der Kippe zum Erwachsenwerden.» Was vor 20 Jahren passiert ist. Was im idyllischen Unterseen zu diesem unvorstellbar brutalen Mord führte. Wie die Polizei ermittelt hat. Und auch: Was der Fall mit Unterseen gemacht hat. Darum geht es in dieser Zeitblende.