”Wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem andern wirkt und lebt“, Goethe, Faust, erste Szene
Ich habe in vorigen Episoden immer wieder den Begriff der »Komplexität« verwendet. Es ist daher höchst an der Zeit dass wir uns eine erste Episode mit diesem Begriff auseinandersetzen.
In dieser Episode stelle ich drei Fragen:
Ist Komplexität und Kompliziertheit dasselbe?
Was ist Komplexität, genauer: wo finden wir komplexe Systeme und wie verhalten sie sich
Was bedeutet das für die wissenschaftliche und rationale Betrachtung der Welt, vor allem auch für die Herausforderungen der Zukunft?
Am Anfang steht die Frage: wie verhalten sich eigentlich die wichtigen Systeme, die unser Leben ermöglichen?
»Die Natur macht keine Sprünge«, Carl von Linné
Ist das so? Einfache mechanische und simple Systeme zeigen einfache Ursachen/Wirkungszusammenhänge – im Gegensatz zu komplexen Systemen:
Wieso wird die Sahara nach langer Zeit mit stabilem Bewuchs in kurzer Zeit zu einer Wüste?
Warum kollabieren Seen oder Korallenriffe
Wie sieht es mit der Vorhersagekraft von technischen und sozialen Systemen aus?
Wer hat den Fall der Berliner Mauer, Flash-Crashs an der Börse oder Donald Trump als Präsidenten korrekt vorhergesagt?
”In der großen Verkettung der Ursachen und Wirkungen darf kein Stoff, keine Thätigkeit, isoliert betrachtet werden.“, Alexander von Humboldt im 18. Jahrhundert
Wir leben also nicht in einer Welt der simplen, sondern der wicked problems. Wie kommt das? Fragen wir konkreter nach
Was ist ein System?
Was sind Systemgrenzen?
…und dann noch Skaleneffekte?
Kompliziert oder komplex? Fassen wir einfach nochmals zusammen: was ist jetzt der Unterschied?
Warum interessiert uns das alles? Heute und in der Zukunft?
Wir kämpfen nicht nur mit dem drohenden Kollaps lebenswichtiger natürlicher Systeme, heute werden auch die »künstlichen«, die technischen und sozialen Systeme immer komplexer. So ist es extrem wichtig zu unterscheiden ob wir es mit komplexen Systemen, komplexen Problemen zu tun haben denn sie
verhalten sich sehr unterschiedlich
müssen mit unterschiedlichen Methoden untersucht werden
Management, Kontrolle und Fehlersuche in solchen Systeme erfordert ebenfalls sehr unterschiedliche Strategien
Was ist daher das größte Problem unserer Zeit? Das größte Problem ist es, wenn Menschen fragen, welches das größte Problem unserer Zeit ist.
Denn fast alle Herausforderungen die unsere Zukunft bestimmen sind in komplexer Weise miteinander verbunden. Wir lösen sie also mehr oder weniger gemeinsam, oder gar nicht
Und wie immer, sehen wir nach dieser Episode betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.
Referenzen
Rich Hickey: Simple made easy
Donella Meadows, Thinking in Systems, Chelsea Green Publishing (2008)
Warren Weaver, Science and Complexity, American Scientist, 36: 536 (1948)
Andrea Wulf, Alexander Humboldt
G. Cumming, Unifying Research on Social-Ecological Resilience and Collapse (2017)
Chris Clearfield, Meltdown: Why our systems fail and what we can do about it
Charles Perrow, Normale Katastrophen
Rupert Riedl, Strukturen der Komplexität (2000)
Nassim Taleb, Skin in the Game
Peter Kruse, next practice. Erfolgreiches Management von Instabilität
Kultur & GesellschaftBildungWissenschaft & Technik
Zukunft Denken – Podcast Folgen
Woher kommen wir, wo stehen wir und wie finden wir unsere Zukunft wieder?
Folgen von Zukunft Denken – Podcast
142 Folgen
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Folge vom 26.08.2019010 - Komplizierte Komplexität
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Folge vom 12.08.2019009 - Abstraktion: Platos Idee, Kommunismus und die ZukunftEine nächste »Guerilla-Attacke« auf die Festung Wissenschaft, mit Blick in die Zukunft: Welche Rolle spielt Abstraktion für das moderne, wissenschaftliche Denken? (1) Wir beginnen mit der Frage, wie sich das Denken vom Speziellen zum Allgemeinen, oder vom »Mythos« zum »Logos« entwickelt hat, besuchen dazu das antike Griechenland, Plato, Aristoteles und die Pythagoräer. (2) Dann machen wir einen Zwischenstopp während der kommunistischen Revolution in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Entfernte Regionen der Sowjetunion wurden durch radikale soziale und ökonomische Änderungen gezwungen. Dazu gehört auch ein Bildungsprogramm, das die entferntesten russischen Regionen mit einschließt. Der russische Psychologe Alexander Luria begleitet diese Entwicklung und sieht dies als »natürliches Experiment«. Er fragt sich wenn man die Arbeit der Menschen verändert und ihnen mehr Abstraktion beibringt: welchen Einfluss wird das auf ihr Denken und ihren Geist haben? »Vormoderne Menschen sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht, moderne Menschen die Bäume nicht im Wald.« (3) Wir kehren dann in die Gegenwart um zu sehen, warum Abstraktion fundamental für einen erfolgreichen Umgang mit unserer Zukunft ist John Dewey: Über das Lösen von Problemen Flynn Effekt – und unser Lernen von der komplexen Umgebung in der wir uns bewegen Wie reagieren Schule und Universität? Und zuletzt stellt Franz Wuketits die These in den Raum, dass Abstraktion für unseren Umgang mit der Zukunft fundamental ist. Referenzen Griechenland David C. Lindberg, The Beginnings of Western Science, Univ. of Chicago Press (1992) Luciano de Crescenco, Geschichte der griechischen Philosophie, Diogenes (2016) Günter Küppers (Hrsg.), Chaos und Ordnung, Formen der Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft, Reclam (1996) Die sozialistische Revolution und die soziologische Beobachtung David J. Epstein, Range, Penguin (2019) J. R. Flynn, The Mean IQ of Americans: Massive Gains 1932 to 1978, Psychological Bulletin 95, no. 1 (1984) Alexander Luria, Cognitive Development. Its Cultural and Social Foundations, Harvard University Press (1976) Lernen, Gesellschaft und Zukunft John Dewey, Theory of Inquiry (1938) Franz M. Wuketits, Animal irrationale. Eine kurze (Natur-)Geschichte der Unvernunft, edition unseld (2013) Weiteres Nassim Taleb, Fooled by Randomness, Penguin (2007) Alfred North Whitehead, The Education of an Englishman, The Atlantic Monthly, Vol. 138 (1926), p. 192.
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Folge vom 29.07.2019008 - Alles wird besser... oder nicht? Teil 2Ist die Menschheit auf dem richtigen, oder wenigstens auf einem guten Weg? Wird alles im wesentlichen immer besser? Oder das Gegenteil: sind wir gerade dabei uns systematisch zu zerstören? Diese Frage schließt einerseits unmittelbar an unsere Episode über Fakten, Daten und Wissenschaft an. Eigentlich sollte sie also einfach zu beantworten sein. Es stellt sich heraus: es ist alles gar nicht so einfach und es gibt lautstarke unterschiedlichen Lager. Wir werden erkennen, dass, selbst wenn alle Seiten in einer Diskussion sich tatsächlich auf Fakten berufen, der Schluss, der daraus gezogen werden kann, in vielen Fällen alles andere als trivial ist. »Keine Lüge, die etwas auf sich hält, enthält Unwahres. Was letztlich präpariert wird, ist vielmehr das Weltbild als Ganzes […] Dieses Ganze ist dann weniger wahr, als die Summe der Wahrheiten seiner Teile […] Die Aufgabe derer, die uns das Weltbild liefern, besteht also darin, aus vielen Wahrheiten ein Ganzes für uns zusammenzulügen.«, Günther Anders Lassen wir den Begriff der »Lüge« weg und transformieren wir das Zitat zu: selbst wenn alle Fakten in einer Argumentationskette korrekt sind, kann die Summe, das Ganze irreführend oder gar falsch sein. Und dies muss nicht notwendigerweise aus bösem Willen geschehen. Die Frage, die wir an den Anfang gestellt haben, hat aber eine zweite wichtige Komponente: Narrative. »Menschen sind die Produkte der Geschichten, die sie über sich selbst erzählen, die ihre Gemeinschaft über sich erzählt. Fakten spielen dabei höchstens eine untergeordnete Rolle.«, Philipp Blom »Bewegungen, welche die Welt zu verändern suchen, beginnen oft damit, dass sie die Geschichte umschreiben und die Menschen damit in die Lage versetzen, sich die Zukunft neu auszumalen.«, Yuval Noah Harari Ich denke nicht, dass Fakten in der öffentlichen Diskussion nutzlos oder wirkungslos sind, sie haben nur nicht die Wirkung, wie es sich manche wünschen würden – und das durchaus auch aus guten Gründen, wie wir sehen werden. Es ist daher von großer Bedeutung für gesellschaftlich zentrale Fragen nicht nur die Daten und Fakten kritisch zu hinterfragen, sondern dann auch deren Interpretation und Deutung konstruktiv zu diskutieren. Allzu leicht fällt man hier in zu einfache ideologische Raster. In den beiden Teilen dieser Episode werden wir uns etwas genauer mit den Argumenten »beider Seiten« auseinandersetzen. Denn es erscheint mir wichtig, diesen intellektuellen Konflikt einmal durchzuspielen, da wir einige Prinzipien typischer Probleme des 21. Jahrhunderts erkennen können. Außerdem sind diese Aspekte sind eine wesentliche Motivation für diesen Podcast. Ein paar Thesen, die in späteren Episoden vertieft werden, können vorweggenommen werden: Ohne Wissenschaft und Technologie kann es keine Zukunft für 9-11 Milliarden Menschen geben. Wir haben natürliche Ressourcen weit überstrapaziert und müssen hier dramatisch gegensteuern Auch die menschlichen Systeme haben eine Komplexität erreicht, die wir teilweise nicht mehr im Griff haben. (Komplexität ist nicht dasselbe wie Kompliziertheit – was ist der Unterschied?) Die Kernfrage der nächsten Jahrzehnte wird also wahrscheinlich lauten: Wie können wir die wesentlichen ökologischen wie gesellschaftlichen Systeme gesund halten wesentlich mehr Resilienz ins System bringen und dabei die Fortschritte, die die Menschheit unbestritten erreicht hat nicht zu einem Einsturz bringen. Dies ist eine gewaltige Herausforderung. Ich hoffe, ich werde in diesem Podcast einige Anregungen zum Weiterdenken und eine Brücke für zukünftige Episoden liefern können. Referenzen Hans Rosling, Factfulness Steven Pinker, Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit Gregg Easterbrook, It's Better Than It Looks: Reasons for Optimism in an Age of Fear George Monbiot, Out of the Wreckage Philipp Blom, Was auf dem Spiel steht Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen (Teil 1 und Teil 2) Kate Raworth, Doughnut Economics Johan Rockström et al, Planetary Boundaries (e.g. Nature: A safe operating space for humanity) Big World Small Planet, Johan Rockström, Matthias Klum Johan Rockström, TED Talk: Let the environment guide our development Yuval Noah Harari, Homo Deus Yuval Noah Harari, 21 Lessons for the 21st Century Michael Specter, Denialism Jared Diamond, Kollaps Norman Borlaug, Nobelpreise Acceptance Speech Jeffrey D. Sachs, Kommentar: Es ist nicht genug, einfach mehr Nahrung zu produzieren, Spektrum der Wissenschaft, 11.01.2010 Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur Robert B. Reich, Rettet den Kapitalismus Tim Jackson, Prosperity without Growth
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Folge vom 15.07.2019007 - Alles wird besser... oder nicht? Teil 1Ist die Menschheit auf dem richtigen, oder wenigstens auf einem guten Weg? Wird alles im wesentlichen immer besser? Oder das Gegenteil: sind wir gerade dabei uns systematisch zu zerstören? Diese Frage schließt einerseits unmittelbar an unsere Episode über Fakten, Daten und Wissenschaft an. Eigentlich sollte sie also einfach zu beantworten sein. Es stellt sich heraus: es ist alles gar nicht so einfach und es gibt lautstarke unterschiedlichen Lager. Wir werden erkennen, dass, selbst wenn alle Seiten in einer Diskussion sich tatsächlich auf Fakten berufen, der Schluss, der daraus gezogen werden kann, in vielen Fällen alles andere als trivial ist. »Keine Lüge, die etwas auf sich hält, enthält Unwahres. Was letztlich präpariert wird, ist vielmehr das Weltbild als Ganzes […] Dieses Ganze ist dann weniger wahr, als die Summe der Wahrheiten seiner Teile […] Die Aufgabe derer, die uns das Weltbild liefern, besteht also darin, aus vielen Wahrheiten ein Ganzes für uns zusammenzulügen.«, Günther Anders Lassen wir den Begriff der »Lüge« weg und transformieren wir das Zitat zu: selbst wenn alle Fakten in einer Argumentationskette korrekt sind, kann die Summe, das Ganze irreführend oder gar falsch sein. Und dies muss nicht notwendigerweise aus bösem Willen geschehen. Die Frage, die wir an den Anfang gestellt haben, hat aber eine zweite wichtige Komponente: Narrative. »Menschen sind die Produkte der Geschichten, die sie über sich selbst erzählen, die ihre Gemeinschaft über sich erzählt. Fakten spielen dabei höchstens eine untergeordnete Rolle.«, Philipp Blom »Bewegungen, welche die Welt zu verändern suchen, beginnen oft damit, dass sie die Geschichte umschreiben und die Menschen damit in die Lage versetzen, sich die Zukunft neu auszumalen.«, Yuval Noah Harari Ich denke nicht, dass Fakten in der öffentlichen Diskussion nutzlos oder wirkungslos sind, sie haben nur nicht die Wirkung, wie es sich manche wünschen würden – und das durchaus auch aus guten Gründen, wie wir sehen werden. Es ist daher von großer Bedeutung für gesellschaftlich zentrale Fragen nicht nur die Daten und Fakten kritisch zu hinterfragen, sondern dann auch deren Interpretation und Deutung konstruktiv zu diskutieren. Allzu leicht fällt man hier in zu einfache ideologische Raster. In den beiden Teilen dieser Episode werden wir uns etwas genauer mit den Argumenten »beider Seiten« auseinandersetzen. Denn es erscheint mir wichtig, diesen intellektuellen Konflikt einmal durchzuspielen, da wir einige Prinzipien typischer Probleme des 21. Jahrhunderts erkennen können. Außerdem sind diese Aspekte sind eine wesentliche Motivation für diesen Podcast. Ein paar Thesen, die in späteren Episoden vertieft werden, können vorweggenommen werden: Ohne Wissenschaft und Technologie kann es keine Zukunft für 9-11 Milliarden Menschen geben. Wir haben natürliche Ressourcen weit überstrapaziert und müssen hier dramatisch gegensteuern Auch die menschlichen Systeme haben eine Komplexität erreicht, die wir teilweise nicht mehr im Griff haben. (Komplexität ist nicht dasselbe wie Kompliziertheit – was ist der Unterschied?) Die Kernfrage der nächsten Jahrzehnte wird also wahrscheinlich lauten: Wie können wir die wesentlichen ökologischen wie gesellschaftlichen Systeme gesund halten wesentlich mehr Resilienz ins System bringen und dabei die Fortschritte, die die Menschheit unbestritten erreicht hat nicht zu einem Einsturz bringen. Dies ist eine gewaltige Herausforderung. Ich hoffe, ich werde in diesem Podcast einige Anregungen zum Weiterdenken und eine Brücke für zukünftige Episoden liefern können. Referenzen Hans Rosling, Factfulness Steven Pinker, Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit Gregg Easterbrook, It's Better Than It Looks: Reasons for Optimism in an Age of Fear George Monbiot, Out of the Wreckage Philipp Blom, Was auf dem Spiel steht Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen (Teil 1 und Teil 2) Kate Raworth, Doughnut Economics Johan Rockström et al, Planetary Boundaries (e.g. Nature: A safe operating space for humanity) Big World Small Planet, Johan Rockström, Matthias Klum Johan Rockström, TED Talk: Let the environment guide our development Yuval Noah Harari, Homo Deus Yuval Noah Harari, 21 Lessons for the 21st Century Michael Specter, Denialism Jared Diamond, Kollaps Norman Borlaug, Nobelpreise Acceptance Speech Jeffrey D. Sachs, Kommentar: Es ist nicht genug, einfach mehr Nahrung zu produzieren, Spektrum der Wissenschaft, 11.01.2010 Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur Robert B. Reich, Rettet den Kapitalismus Tim Jackson, Prosperity without Growth